Volker Lindenstruth
Ein Tanz mit dem Tod auf einem Bein
Als ich das obige Bild zum ersten Mal gesehen habe, war ich begeistert.
Rudolf Kraft hat mir ein Weniges
über seinen Kollegen erzählt: Unterschenkelamputation nach
einem Verkehrsunfall, Fotograf ebenfalls nicht hauptberuflich, aber
aus Leidenschaft. Ich wollte mehr wissen. Ich wollte erfahren, wie
man mit seinen eigenen Verletzungen umgehen lernt, schließlich
sogar seinen imperfekten Körper und die eigene Sterblichkeit
inszeniert.
Beim ersten Telefongespräch mit Volker Lindenstruth hat er die
Kategorie Totentanz für seine computertechnisch manipulierten
Digitalaufnahmen abgelehnt. Nach der Durchsicht der neunteiligen Serie
war das anders. Mit jedem Bild häuften sich die Bezüge zur
makabren Kunst. Da ist der Leichnam im offenen Sarg im Kornfeld, für
mich persönlich eine Erinnerung an den Schlager von Jürgen
Drews, der 1976 die Spitzenposition der deutschen Charts eroberte,
für gläubige Menschen wohl eher eine Paraphrase des Bibelworts:
… verflucht sei der Acker um deinetwillen! Mit Mühsal sollst
du dich von ihm nähren dein Leben lang. … Im Schweiße
deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis du wieder zu Erde
werdest, davon du genommen bist. Denn du bist Erde und sollst zu Erde
werden.
Es folgt der Fotograf als Sargträger, einzeln oder in Serie.
Das Besondere daran ist, wie er das tut, weder wie bei einer Beerdigung
noch wie die Knochenmänner im Totentanz. Er hat zugegriffen,
als wäre es ein Boot, die Öffnung nach unten gekehrt und
die Last auf seinem Rücken abgelegt. Nur die Beine, genauer ein
Bein, und die Prothese schauen heraus. In welche Rolle ist Volker
Lindenstruth hier wohl geschlüpft? Spielt er den Fährmann
Charon, der seinen Nachen zum Styx schleppt oder den Todeskandidaten,
der seinem Schicksal zu entwischen gedenkt?
Im Folgenden wachsen dem asymmetrischen Körper ein Paar makelloser
weißer Flügel, und der Tote – vielleicht ist auch
ein Engel gemeint – entschwebt zum Horizont, einmal über
ein zur Ernte reifes Haferfeld einem Schädelgebirge entgegen,
dann über das Meer in eine unbestimmt Ferne. Zurück bleiben
hier lediglich die Wanderstiefel im Sand. Der ein oder andere mag
das kitschig finden; ich achte Volker Lindenstruths Mut.

Bewunderung gebührt ihm meiner Meinung nach dafür, dass
er sich schließlich sogar als ein Mittelding aus Kadaver und
antikem Torso auf den Sockel legt. Hier ruht einer in entspannter
Haltung, während die Silhouette eines Raubvogels (leider kein
echter Aasgeier) über ihm kreist. Hier bleibt nichts verborgen,
weder der Schenkelstumpf noch der Penis. Und wer jetzt stänkert,
da fehlt doch das Gesicht, möge akzeptieren, dass es mir um die
Sache geht und nicht um individuellen Züge.
Letzte Aktualisierung:
16.10.2007
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