Theodor Fontane: Fünf Schlösser,
1888-1889.
Teil 1: Quitzöwel, 5. Kapitel:
Dietrich und Johann von Quitzow zur Taufe bei Kaspar Gans
von Putlitz zu Tangermünde.
Schon am 7. August [1410] brach man denn auch nach Schloß Tangermünde
hin auf. Es war ein überaus glänzender Zug, der in seinem Glanze
nicht an die Not des Landes gemahnte. Bewaffnete Knechte ritten voraus;
dann folgten die Ritter und Edelleute mit denjenigen Damen, die zu Pferde
gestiegen waren, während die, die nicht Lust zum Reiten gezeigt hatten,
die Fahrt zu Wagen machten. Daran schlossen sich die Zofen und Mägde,
bis abermals bewaffnete Knechte dem Ganzen einen Abschluß gaben.
Im vorderen wie hinteren Zuge wehte das schräggeteilte Quitzowsche
Banner, im roten Felde ein weißer und im weißen Felde ein
roter Stern. Rathenow war halber Weg. Bei Fischbeck erreichte man die
Elbe, zugleich die Stelle, von der aus eine von jenseits gekommene Fähre
die Taufgäste nach dem anderen Ufer hinüberbringen sollte. Schloß
Tangermünde ragte im Abendhimmel auf. Alles war festlich und die
Fähre selbst aufs reichste mit Blumen geschmückt, ja, drüben
am Ufer standen Putlitzsche Trompeter und Pauker, die die Gäste schon
von fernher mit ihren Fanfaren begrüßten. Aber die Zahl derer,
die hinüber wollten, war für die Fähre viel zu groß,
und viermal mußte sie den Fluß kreuzen, eh alle drüben
waren. Nun ging es auf das jüngst erst von Kaiser Karl IV. erbaute
Schloß Tangermünde zu, wo sich die havelländischen Gäste
mit denen aus der Altmark und Prignitz vereinigten. Am nächsten Tage
folgte der Taufakt in der von prächtigem Gestein funkelnden Schloßkapelle,
woran sich, unmittelbar fast, ein ausgewähltes Mahl schloß.
Die dabei, nach Sitte der Zeit, vorzugsweise zur Verwendung kommenden
Gewürze waren Pfeffer und Safran. Ein anderer charakteristischer
Zug der damaligen Kochkunst bestand darin, nichts zu verschmähen
und alle Tierteile: Köpfe, Füße, Zunge, Hirn, Lunge, Leber,
Nieren, Gekröse, gleichmäßig in Delikatessen umzuwandeln.
Dazu die Schaugerichte: turmartige Kuchen aus Pastetenteig, in die man
lebendige Vögel hineinsetzte, die dann beim Öffnen wegflogen.
Als das Gratias gesprochen war, erhob man sich und traf Anstalten zum
Tanz. Den Beginn machte der von zwölf Paaren getanzte Zwölfmonatstanz;
dann kam der polnische Tanz, der Kapriolentanz, der Drehtanz, der Taubentanz.
Den Schluß aber bildete der Totentanz, der sehr beliebt war und
wobei man durchs Los entschied, wer den Toten zu spielen habe. Das Los
traf Conrad von Quitzow von Schloß Hohenwalde. Der erschrak, weil
er schon während der Reise von Todesahnungen erfüllt gewesen
war. Es galt aber, von diesem Erschrockensein nichts zu zeigen, und als
er eine kurze Zeit getanzt hatte, fiel er, wie's das Spiel erheischte,
mitten im Saal um und spielte den Toten. Und nun schwieg auch die lustige
Musik, und ein dumpfer Trauergesang erscholl, während dessen die
Damen an den Toten herantraten und ihn küßten. Als er den Kuß
auch der letzten empfangen hatte, stand er wieder auf, und der Drehtanz
begann in aller Lustigkeit von neuem.
Damit schloß die Feier, und weil das Fest alle Teilnehmer ermüdet
haben mochte, rüsteten sie sich am andere Morgen bereits zur Abreise.
Ziemlich früh schon erreichte man die Fähre, die, wie drei Tage
zuvor, mit Laub und Blumen geschmückt war. Ebenso gebot es sich auch
heute wieder, den Übergang in Gruppen zu machen, und nur das »Wie«
blieb noch festzustellen. Endlich entschied man sich dahin, auch bei diesem
die Rückkehr einleitenden Übergange dieselbe Reihenfolge wie
beim Heranzug innehalten zu wollen: zunächst also die vorausreitenden
Knechte, dann die Frauen und Ritter, danach die Zofen und Dienerschaften
und schließlich die Nachtrabsknechte, die schon auf der Herfahrt
den Abschluß gebildet hatten. Ebendiesen Nachtrab sollte Johann
von Quitzow, den vorausreitenden Trupp aber der ältere Bruder führen.
Und nach diesem Abkommen wurde verfahren.
Der ganze Vortrupp, vierundzwanzig reitende gewappnete Knechte, ritten
auf die Fähre hinauf, und als sie Stand und Ordnung genommen, erschien
Dietrich von Quitzow, dem sich, im letzten Augenblicke, sein Schwager
Albrecht von Schenk und gleich danach auch sein Bruder Conrad von Quitzow
(der Hohenwalder) anschloß. Die Fähre ging tief und hatte nur
wenig Bord. Es war außerdem windig, so daß sich die gelben
Wogen der Elbe mächtig heranwälzten. In der Tat scheint es,
als ob man ein Einsehen von dem Gefahrvollen einer solchen Überlastung
gehabt habe; die Fährleute jedoch versicherten einmal über das
andere, daß nichts zu fürchten sei, und so stieß man
denn unter Zuruf und Tücherwinken der vorläufig noch am altmärkischen
Ufer Verbleibenden ab. Alles war guter Dinge, welche frohe Stimmung noch
wuchs, als die von Kaspar Gans auch heute wieder bis an die Fährstelle
beorderten Trompeter ihre Abschiedsweisen anstimmten. Ein jäher Aufschrei
aber, der, vom Fährboot ausgehend, im selben Augenblick auch unter
den am Ufer Zurückgeblieben erscholl, übertönte plötzlich
die Fanfaren, und als diese schwiegen, sah man von der altmärkischen
Seite her das Sinken der Fähre: das Wasser schlug über Bord,
und ehe noch an Rettung zu denken oder wohl gar nach anderen Booten auszuschauen
war, versank die Fähre vor aller Augen. Sowohl Dietrich von Quitzow
wie sein Schwager Albrecht von Schenk warfen sich voll Geistesgegenwart
auf ihre Pferde und hatten Kraft und Geschicklichkeit genug, sich bis
ans havelländische Ufer zu retten, alles andere aber ging zugrunde:
die ganze Knechteschar und mit ihnen Conrad von Quitzow, der den Abend
vorher so widerstrebend und ahnungsvoll den Totentanz getanzt hatte. Vergebens,
daß man nach seiner Leiche suchte; viele der mit ihm Ertrunkenen
wurden gefunden, er nicht, und unter Schmerz und Grauen beschloß
man die Taufreise, die so froh und unter so glänzenden Aussichten
begonnen hatte. Daheim wurden dem »guten Quitzow«, der sich,
im Gegensatze zu seinen Brüdern, einer ziemlich allgemeinen Beliebtheit
erfreute, zahlreiche Seelenmessen gelesen, und vielfach beklagte man den
Ausgang. Aber andere waren da, die kaum ein Gefühl des Triumphes
zurückhalten konnten und in dem grauenhaften Ereignisse das erste
Zeichen sahen, daß sich der Himmel gegen die Quitzows wenden wolle.
Wusterwitz war unter denen, die dieses Glaubens lebten. Und ihr Glaube
war der richtige: die Taufreise nach Tangermünde war der Wendepunkt
im Leben der Quitzows, und trotz großer politischer wie militärischer
Erfolge, deren sie sich gelegentlich noch zu rühmen hatten, ging
es von diesem Tag an mit ihrem Glücke bergab.
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