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Literarische Zeugnisse

Der personifizierte Tod in der
deutschsprachigen Dichtung bis 1300

1) Das Reden über den (Herrn) Tod:
     
  a) Das empfindsame Gesicht des Todes:
     
    Der Tod kann hören:
    KAISERCHRONIK (nach 1147, spätestens 1172):
ja rief dem Tôde
dem ê diente rome
dem ê dienten elliv lant (V. 13-15)
     
    Der Tod kann sehen:
    Freidank: BESCHEIDENHEIT (1210-1230):
dem Tôde maneger winket,
der âne durst trinket. (V. 177,17f.)
     
  b) Der mobile Tod:
     
   

NIBELUNGENLIED (um 1200):
dô nâhte im der tôt. (V. 2065,3)
der tôt wil mich niht langer iu und Etzelen dienen lân. (V. 2067,4)

Der Stricker: KARL (um 1220):
der tôt gêt dir vaste zuo (V. 6402)

BITEROLF (um 1255):
da moht vil wol der tot
erpawen sein stras
mit sterche one mass. (V. 10654-10656)

Konrad von Würzburg: SILVESTER (um 1260):
der tôt kam im geslichen
durch sînes valschen herzen tor. (V. 416f.)

Hugo von Langenstein: MARTINA (vollendet 1293):
Unsir tot stet vor der tür (V. 135,95)

     
  c) Erzählte Rollengesichter des Todes:
     
    Sämann:
   

NIBELUNGENKLAGE (schon bald nach 1200):
nû seht, vil edel Dietrîch,
wie der tôt umbe sich
mit kreften hât gebouwen. (V. *B1656)
der tôt hete sînen sâmen
gesaet vil wîten in diu lant (V. *B 2258f.)

Wolfram von Eschenbach: WILLEHALM (um 1220):
dô der tôt sînen sâmen
under si gesæte. (V. 361,16f.)

     
    Hausherr:
   

Hartmann von Aue: DIE KLAGE (um 1190):
des todes ingesinde (V. 1812; vgl. auch Nibelungenlied, V. 2224,4)

Ulrich von Türheim: RENNEWART (zw. 1243 und 1250):
der tot weiz manige saze,
so er dem menshen wil shaden
und in heim ze huse laden (V. 2276-2278)
BITEROLF (um 1255):
gegen jn hett der tot
seines hauses tuor entlochen. (V. 12054f.)

     
   

Verwalter bzw. Vogt:

   

Wolfram von Eschenbach: WILLEHALM (um 1220):
zins und zoll (vgl. V. 12,15, 164,4f., 339,12f.)

Hugo von Langenstein: MARTINA (vollendet 1293):
Wan vns allen ist vnkvnt
Wenne der tot vnsir voget
Kom geslichin und gezoget
Und die armen sele jage
Von dem libe hin mit clage. (V. 46,86-90)

     
    Liebhaber bzw. Ehemann:
   

Hartmann von Aue: EREC (1180/85):
nâch dîner minne ist mir sô nôt.
nû geruoche mîn, vil reiner Tôt.
ouwê wie wol ich arme
gezim an dînem arme! (V. 5890-5893)

NIBELUNGENKLAGE (schon bald nach 1200):
der tôt het ir minne (V. *B244)

Konrad von Würzburg: ENGELHARD (1260/70):
des Tôdes wîp (V. 3402)

     
    Gesandter, Häscher, Jäger, Ankläger:
    Bsp. WARTBURGKRIEG (nach der Mitte des 13. Jh.):
jeger (V. 95,3)
     
    Kämpfer:
    Neidhart von Reuental: SOMMERLIED 3 (ca. 1220):
ein altiu mit dem tode vaht,
beide tac und ouch die naht.
diu spranc sider
als ein wider
und stiez die jungen alle nider. (Sommerlied 3,III)
     
    Gefährte des Teufels:
    Hugo von Trimberg DER RENNER (um 1300):
Tôt und tiufel ich nie gesach
Und fürhte ir beider ungemach. (V. 24091f.)
     
2) Reden an den Tod:
     
   

Hartmann von Aue: EREC (1180/85):
wê dir, vil übeler Tôt! (V. 5915)

Konrad Fleck: FLORE UND BLANSCHEFLUR (um 1220):
Owê Tôt, dir was ze gâch (V. 2302)

BITTE AN DEN TOD (bald nach 1300?):
Owê, du Tôt vil sûre,
wer mac entwîchen dir? (1f.)

MAI UND BEAFLOR (um 1270/80):
Tôt, du bist ein tôter Tôt. (V. 178,33)

Johann von Würzburg: WILHELM VON ÖSTERREICH" (1314):
ey tot, du grimmer (V. 2349-2359)

     
3) Reden mit dem Tod:
     
   

Regenbogen: GESPRÄCH MIT DEM TOD (um 1300):

1
Der Tôt kam zuo mir heim unt wolte toeten mich.
ich sprach: „ach, lieber Tôt, waz möht' es helfen dich,
daz ich waer' iezuo tôt? die warheit zuo mir sprich."
er sprach: „swâ kranke liute sîn, dar muoz ich mich hin nêhen."
„Nu vrist' mich, Tôt, biz mîn diu welt niht mer begert,
unt sô ich mînem wîb' unt kindern werd' unwert,
und mich ouch daz gesinde genôt' siht umb den hert,
wenne daz geschiht, sô wil ich dir umb leben niht mêr vlêhen:
Ich hân noch jungen lîp, ouch guot und êre."
„waz waenstu, tôre, daz ich dir darumbe tuo?
mir ist gein dir der âbent als der morgen vruo;
der keiser glîcht dem beteler, dem ich wil zuo.
mîn vriuntschaft und mîn heimlicheit ist al der welt ze swêre."

2
"Ach, Tôt, min vriunt, welstu mich lenger leben lân!
mit mînem wizzen hân ich dir nie leit getan;
swen du nu wilt, ich muoz dir ze gerihte stân,
ich kan dir joch entloufen niht: waz schat dir, daz ich lebe?
Het' ich die ganze kraft, diu al die welte treit,
daz hülf' gein dîner sterke niht eins halmes breit."
"wol hin und lebe," sprach der Tôt, „unt sîst bereit,
swenne ich dir mîne boten sende, die dir diu zeichen geben."
"Ich bit' dich, Tôt, du mir die boten nennest!"
"grâ schopf, grâ bart; der dritte bot' ist daz gegiht,
zânlos, toup, blint; der vünfte bote sûmt sich nicht,
dempfic unt huost', der sehste bot' ist boes' gesiht,
der sibende bot' macht dich ein kint, daz dû dich niht erkennest."

3
Diu zît ist hie, die boten die sint ûz gesant,
der grâwe schöpf, gesüht' sint mir beid' wol erkant,
ouch zanlôs, dempfeht hânt sich ûf die strâz' gewant,
si wellent komen, wan si mügen vollenden ir beiten.
Wer heizt si îlen, daz si loufen alsô snel?
daz tuot der Tôt, des muot ist ûf mich worden grel;
er hât kein ruo, er habe gestrecket mir daz vel
unt habe mich von dem leben brâht unt von der welt gescheiden.
Wolhin, lâz varn! wan sterben ist gemeine.
unt waer daz niht, ez braehte mir gar trüeben sin.
mîn vater und mîn muoter die sint vor mir hin,
unt keiser, künige, vürsten, der ich keiner bin:
noch lebt' ich gerne tûsent jâr, und hilft mich doch gar kleine.

4
Sô kumt der Tot unt spricht: „hie muoz ein strîten wesen;
gesigstu dâ, sô muostu tûsent jâr genesen;
ûz blôzem rehtem schirmen wel wir künste lesen:
nu halt dich an der lanzen hurt, ich hân die îsern borten."
Sô kument mîne vriunt unt bringent mîn kampfes wât:
mîn beingewant daz sint zwên' seck' niht wol genât,
mîn wâpenrock ein lînîn tuoch von kranker tât;
ez salbt der edel priester mich unt segent mich mit Worten.
Ich bin bereit; nu gât ez an ein striten.
sô sleht der Tôt diu beine, daz si stille ligen,
hend' unde arme hânt des swertes sich verzigen,
ougen unt houpt: wie möht' ich im dan an gesigen ?
sô sticht er mir daz herze enzwei, daz muoz ich allez lîden.

5
Sus endet sich der strît: dannoch ist ungestriten.
ach got, durch dîne martel, die dû hâst geliten,
ach Mâriâ, hilf mir dîn liebez kint erbiten,
daz dîne bete stê vür mich, und lâz die sêle ruowen.
Ach, wenne der tiuvel zuo mir sprichet: 'dû bist mîn,
wan du ûf erden nie getrüeg' gotlîchen schîn,
du muost bî mir und mînen gesellen êwic sîn.'
Marîa, durch dîns kindes tôt, so stê uns bî mit triuwen.
Juncvrou, du hâst die kraft vor got, damit du vihtest,
daz alle hellisch' tiuvel vürhten sich vor dir,
ich bit' Mariâ, muoter, daz du helfest mir
ze dînem liebem kinde, sô stât mîn begir:
ich bite, herre, dich umb gnâd', dazt niht nâch rehten rihtest!

 

Die Textsammlung hat Prof. Dr. Wernfried Hofmeister von der Universität Graz zusammengestellt. Ein Aufsatzbeitrag erscheint 2005 in unserem Jahrbuch L'art macabre 6.

Vgl. auch sein Projekt in Kooperation mit Studierenden http://sterbekultur.uni-graz.at/home.html.

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Henry Schuhmacher (Präsident) Mail: h.schuhmacher@totentanz-online.de