|
|
Regenbogen: GESPRÄCH MIT DEM TOD (um 1300):
1
Der Tôt kam zuo mir heim unt wolte toeten mich.
ich sprach: „ach, lieber Tôt, waz möht' es helfen
dich,
daz ich waer' iezuo tôt? die warheit zuo mir sprich."
er sprach: „swâ kranke liute sîn, dar muoz ich
mich hin nêhen."
„Nu vrist' mich, Tôt, biz mîn diu welt niht
mer begert,
unt sô ich mînem wîb' unt kindern werd' unwert,
und mich ouch daz gesinde genôt' siht umb den hert,
wenne daz geschiht, sô wil ich dir umb leben niht mêr
vlêhen:
Ich hân noch jungen lîp, ouch guot und êre."
„waz waenstu, tôre, daz ich dir darumbe tuo?
mir ist gein dir der âbent als der morgen vruo;
der keiser glîcht dem beteler, dem ich wil zuo.
mîn vriuntschaft und mîn heimlicheit ist al der welt
ze swêre."
2
"Ach, Tôt, min vriunt, welstu mich lenger leben lân!
mit mînem wizzen hân ich dir nie leit getan;
swen du nu wilt, ich muoz dir ze gerihte stân,
ich kan dir joch entloufen niht: waz schat dir, daz ich lebe?
Het' ich die ganze kraft, diu al die welte treit,
daz hülf' gein dîner sterke niht eins halmes breit."
"wol hin und lebe," sprach der Tôt, „unt
sîst bereit,
swenne ich dir mîne boten sende, die dir diu zeichen geben."
"Ich bit' dich, Tôt, du mir die boten nennest!"
"grâ schopf, grâ bart; der dritte bot' ist daz
gegiht,
zânlos, toup, blint; der vünfte bote sûmt sich
nicht,
dempfic unt huost', der sehste bot' ist boes' gesiht,
der sibende bot' macht dich ein kint, daz dû dich niht erkennest."
3
Diu zît ist hie, die boten die sint ûz gesant,
der grâwe schöpf, gesüht' sint mir beid' wol erkant,
ouch zanlôs, dempfeht hânt sich ûf die strâz'
gewant,
si wellent komen, wan si mügen vollenden ir beiten.
Wer heizt si îlen, daz si loufen alsô snel?
daz tuot der Tôt, des muot ist ûf mich worden grel;
er hât kein ruo, er habe gestrecket mir daz vel
unt habe mich von dem leben brâht unt von der welt gescheiden.
Wolhin, lâz varn! wan sterben ist gemeine.
unt waer daz niht, ez braehte mir gar trüeben sin.
mîn vater und mîn muoter die sint vor mir hin,
unt keiser, künige, vürsten, der ich keiner bin:
noch lebt' ich gerne tûsent jâr, und hilft mich doch
gar kleine.
4
Sô kumt der Tot unt spricht: „hie muoz ein strîten
wesen;
gesigstu dâ, sô muostu tûsent jâr genesen;
ûz blôzem rehtem schirmen wel wir künste lesen:
nu halt dich an der lanzen hurt, ich hân die îsern
borten."
Sô kument mîne vriunt unt bringent mîn kampfes
wât:
mîn beingewant daz sint zwên' seck' niht wol genât,
mîn wâpenrock ein lînîn tuoch von kranker
tât;
ez salbt der edel priester mich unt segent mich mit Worten.
Ich bin bereit; nu gât ez an ein striten.
sô sleht der Tôt diu beine, daz si stille ligen,
hend' unde arme hânt des swertes sich verzigen,
ougen unt houpt: wie möht' ich im dan an gesigen ?
sô sticht er mir daz herze enzwei, daz muoz ich allez lîden.
5
Sus endet sich der strît: dannoch ist ungestriten.
ach got, durch dîne martel, die dû hâst geliten,
ach Mâriâ, hilf mir dîn liebez kint erbiten,
daz dîne bete stê vür mich, und lâz die
sêle ruowen.
Ach, wenne der tiuvel zuo mir sprichet: 'dû bist mîn,
wan du ûf erden nie getrüeg' gotlîchen schîn,
du muost bî mir und mînen gesellen êwic sîn.'
Marîa, durch dîns kindes tôt, so stê uns
bî mit triuwen.
Juncvrou, du hâst die kraft vor got, damit du vihtest,
daz alle hellisch' tiuvel vürhten sich vor dir,
ich bit' Mariâ, muoter, daz du helfest mir
ze dînem liebem kinde, sô stât mîn begir:
ich bite, herre, dich umb gnâd', dazt niht nâch rehten
rihtest! |